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14. Mai 2020

800.000 € Schmerzensgeld für beidseitige Unterschenkelamputation

Dass Bewusstsein um den Verlust der bisherigen Lebensqualität und die voraussichtlich lebenslange Dauer der Schädigungen sind maßgebliche Gesichtspunkte bei der Bemessung des Schmerzensgeldes.

Dass Bewusstsein um den Verlust der bisherigen Lebensqualität und die voraussichtlich lebenslange Dauer der Schädigungen sind maßgebliche Gesichtspunkte bei der Bemessung des Schmerzensgeldes.

Im vorliegenden Fall, den der 5. Zivilsenat des OLG Oldenburg mit Urteil vom 18.3.2020 – 5 U 196/18 (Fundstelle: BeckRS 2020, 5200) entschieden hatte, ging es um einen damals 5 Jahre alten Jungen, dem infolge eines groben Behandlungsfehlers beide Unterschenkel amputiert werden mussten und der nach einem wahren Behandlungsmartyrium von mehr als drei Jahren und über 20 Operationen nun – inzwischen vierzehnjährig – im Rollstuhl sitzt. Von einem Martyrium ist deshalb zu sprechen, da der Kläger während der Behandlungszeit täglich für die Dauer von 22,5 Stunden und somit auch für die Schulbesuche einen Ganzkörperkompressionsanzug mit Gesichtsmaske tragen musste, den er nur 3 mal täglich für eine halbe Stunde ausziehen durfte, damit das Narbengewebe eingecremt werden konnte. Inzwischen besucht er eine Regelschule in Begleitung eines Integrationshelfers und lebt ansonsten zurückgezogen im Kreis seiner Familie. Innerhalb des Hauses bewegt er sich auf den Beinstümpfen unter Zuhilfenahme der Arme, wobei er über den Beinstümpfen Silikonkurzprothesen (sog. Stuppis) trägt ; außerhalb des Hauses benutzt der Kläger einen Rollstuhl zur Fortbewegung.

Vor diesem Hintergrund hatte das LG Aurich BeckRS 2018, 40197– nun bestätigt durch das OLG – völlig zutreffend ein Schmerzensgeld in Höhe von 800.000 € zuerkannt und sich damit  von vermeintlich vorgegebenen Rahmen anderer Gerichtsentscheidungen (vgl. OLG München BeckRS 2010, 23467, OLG Hamm BeckRS 2002, 30290119, OLG Köln BeckRS 2015, 14338) frei gemacht. Statt dessen betonte das LG, dass der Kläger die Verletzungen in einem Alter erlitten hat, zu welchem er „gerade die notwendige Reife erlangt, den Verlust in seiner Gesamtheit zu begreifen“. Zudem verwies das LG sehr zutreffend darauf, dass der inzwischen vierzehnjährige junge Mann durch seine Verletzungen in allen fünf das Leben maßgeblich ausmachenden Bereichen, nämlich

  1. Fortbewegung/ Mobilität
  2. Kommunikation,
  3. Psyche und kognitive Fähigkeiten,
  4. Sehen, Hören, Riechen, Tasten, Schmecken,
  5. Aussehen und Aussicht auf Partnerschaft

erheblich beeinträchtigt wurde und das zudem in einem Alter, bei dem er „gleichsam sein gesamtes Leben noch vor sich“ hat. (Lesenswert dazu ist auch das Urteil des KG BeckRS 9998, 05034)

 Fazit: Mit diesem Urteil setzte das LG Aurich – nun bestätigt durch das OLG Oldenburg – wie zuvor bereits das LG Gießen (Urteil vom 7.11.2019 – 5 O 376/18 siehe Aktuelles vom 17. Nov. 2019) deutlich einen Fuß voran in eine Richtung und auf einen Weg, der noch lange nicht am Ziel angelangt ist: Denn erheblich höhere Schmerzensgeldbeträge sind in derartigen und ähnlichen Fällen heute angemessen, vermeintliche „Schallmauern“, die von einigen Gerichten – gerade bei Arzthaftungsfällen – noch immer bei 500.000 € angesehen werden sind einzureißen und Beträge auch oberhalb von 1.000.000 € dürfen in Zukunft kein Tabu sein!

Mehr zu diesem Thema finden Sie unter der Randnummer 268 (Seite 129 ff) in meinem soeben in 16. Auflage erschienen Buch Schmerzensgeld 2020 – Handbuch und Tabellen, Verlag C.H. Beck. ISBN 978-3-406-73985-9.

Andreas Slizyk

Rechtsanwalt

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