Hinterbliebenengeld Rückblick, offene Fragen und Ausblick
Nachdem sich bereits der 50. Deutsche Verkehrsgerichtstag im Jahr 2012, damals der Arbeitskreis (AK) I., über „Schmerzensgeldansprüche naher Angehöriger von Unfallopfern“ diskutiert hatte, befasst sich nun – Ende Januar 2025 – der 63. Deutsche Verkehrsgerichtstag im AK III mit dem Thema des Hinterbliebenengeldes und den sog. Schockschäden. Dabei geht es vorrangig um folgende drei Fragen:
Vor diesem Hintergrund verstehen sich die nachfolgenden Ausführungen, über die hinaus, ich auf mein inzwischen in der 21. Auflage beim Verlag C.H.Beck erschienenes Fachbuch Slizyk, Schmerzensgeld 2025 [ISBN 978 3 406 82119 6] und dort auf die Ausführungen im Handbuchteil auf den Seiten 270 ff sowie die derzeit insgesamt mehr als 50 Gerichtsentscheidungen zum Hinterbliebenengeld in der Urteilssammlung auf den Seiten 1333 ff verweise:
Rückblick:
In der Vergangenheit gab es immer wieder Unglücksfälle und Gewalttaten, in deren Folge stets auch auf die dringende Notwendigkeit eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld hingewiesen worden war. Zu nennen sind insofern der Fall des OLG Nürnberg (NZV 1996, 367 – in meinem Fachbuch unter Rn. 343 auf Seite 278 näher erläutert) – bei dem alle drei erwachsenen Kinder einer Familie bei einem, von den Verursachern (drei Jugendliche, die abwechselnd am Steuer eines PKW bei Rot über eine Kreuzung fuhren, wobei der jeweils am Steuer Sitzende die Augen verbunden hatte) rücksichtslos herbeigeführten Verkehrsunfall getötet worden waren oder auch Germanwings-Absturz des Flugs 9525 vom 24. März 2015, bei dem alle 150 Insassen ums Leben kamen, - 75 davon aus Deutschland sowie das Zugunglück von Bad Aibling am 9.2.2016 (es ließen sich noch viele weitere Beispiele nennen).
Während im europäischen Ausland (so in Österreich, der Schweiz, Belgien, Luxemburg, Frankreich, England, Schottland, Irland, Italien, Griechenland, Türkei, Serbien, Slowenien, Kroatien, Ungarn, Polen sowie Schweden) für den seelischen Schaden beim Tode naher Angehöriger schon zum Teil vor Jahrzehnten ein Hinterbliebenengeldanspruch zustand, kannte unser Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – selbst nach der umfassenden Reform des Jahres 2002 – einen solchen Anspruch bis 2017 nicht, obwohl dies unter anderem eines der Motive dieser Reform war, das deutsche Schadensersatzrecht und insofern auch das Schmerzensgeldrecht an europäische Haftungstatbestände anzupassen.
Vor nunmehr 91 Monate, am 22.7.2017, war es dann auch in Deutschland endlich so weit und das BGB wurde um den sodann neu eingeführten § 844 Abs. 3 ergänzt:
Dieser dritte Absatz des § 844 BGB lautet:
„Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.“
Somit sollen Ersatzpflichtige den Hinterbliebenen – insbesondere sofern diese zu den nächsten Angehörigen, aber vorrangig auch zu Personen, die mit dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis gestanden hatten, zählen – für das ihnen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld leisten, wobei dieser Anspruch sowohl bei der Gefährdungs- als auch Verschuldenshaftung gewährt werden soll und auch im Adhäsionsverfahren inzwischen regelmäßig Bedeutung erlangt.
Offene Fragen:
Während die Frage, ob sich das 2017 eingeführte Hinterbliebenengeld bewährt hat, wohl eindeutig mit ja beantwortet werden kann und das Verhältnis des Hinterbliebenengeldes zum sog. Schockschadenersatz mit dem Urteil des BGH vom 6.12.2022 – VI ZR 73/21 und den beiden aktuellen Urteilen des OLG Oldenburg (BeckRS 2023, 10076) sowie des LG Osnabrück (BeckRS 2023, 40243) weitgehend geklärt ist und der BGH sich in seinem Urteil vom 6.12.2022 (BeckRS 2022, 40243) zudem umfassend mit Fragen zur Höhe des Hinterbliebenengeldes befasst und dabei betont hatte, dass „die Bemessung der Höhe der Hinterbliebenenentschädigung … grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters“ sei, sind doch immer noch einige Fragen zum Hinterbliebenengeld zu klären:
Ausblick:
Es bleiben also auch nach den inzwischen ergangenen Urteilen des BGH (siehe oben) noch viele Fragen zu diesem Thema offen, die alle noch von den mit der Schadenregulierung befassten Berufsgruppen zu klären sein werden und sich zudem ideal als künftiges Betätigungsfeld für nachfolgende Verkehrsgerichtstage in Goslar eignen und geradezu anbieten.
Zur Höhe des Hinterbliebenengeldes bzw. zur Bemessung dieses Anspruchs, ist für die Zukunft zu hoffen, dass die Instanzgerichte sich vor dem Hintergrund der insofern maßgebenden Entscheidung des BGH vom 6.12.2022 (BeckRS 2022, 40243) die Freiheit nehmen, den angemessenen Betrag losgelöst von den häufig - in diesbezüglichen Gerichtsentscheidungen - zitierten vermeintlichen Vorgaben des Gesetzgebers (siehe BT-Drucks. 18/11397, S. 8) festzulegen und sich dabei auch – im Einzelfall auch deutlich – von dem heute selbst in Fällen extremer Unfallsituationen und schrecklicher Straftaten (vgl. beispielsweise LG Rottweil BeckRS 2018, 59026 oder LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2021, 54607) nur selten zuerkannten 20.000 EUR (meist liegen die Beträge eher bei 5.000 bis 15.000 EUR) nach oben abheben. Zwar hatte der BGH in dieser Entscheidung vom 6.12.2022 (BeckRS 2022, 40243) – ebenfalls mit Verweis auf den Gesetzesentwurf – betont, dass dieser Entwurf bzw. die Einführung des darin begründeten Hinterbliebenengeldes zwar „dem Zweck, den Hinterbliebenen für immaterielle Beeinträchtigungen unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsverletzung einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld einzuräumen [diene]“ und der „dem Hinterbliebenen im Einzelfall zuerkannte Betrag … deshalb im Regelfall hinter demjenigen zurückbleiben [müsse], der ihm zustände, wenn das von ihm erlittene seelische Leid die Qualität einer Gesundheitsverletzung hätte“. Doch dies gilt, wie soeben zitiert nur „im Regelfalle“ und gerade bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sowie ebenso bei dem damit artverwandten Hinterbliebenengeld gilt, dass dabei stets alle Einzel- und Besonderheiten des zu entscheidenden Falles zu berücksichtigen und in die Bemessung zur Höhe einzubeziehen sind. „Ein im allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung im Rahmen der Gesetzesfolgenbewertung genannter und ausdrücklich als Durchschnittsbetrag bezeichneter Wert kann aber keine verbindliche Aussage über die Angemessenheit der Hinterbliebenenentschädigung im konkreten Fall treffen“, so der BGH (BeckRS 2022, 40243).
Andreas Slizyk
Rechtsanwalt
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